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20 Jahre Therapeutisches Reiten am Sächsischen Krankenhaus

Therapie für verletzte Seelen: Vierbeiner vermitteln Vertrauen

Pferde als Medium zwischen Therapeut und Patient. Das gibt es auf dem Fohlenhof Schöniger in Lengenfeld seit 20 Jahren. Die Tiere können für die Menschen dabei einiges bewirken.

Bevor ich über das Podest auf den Rücken von Hengst Max klettere, bekomme ich gesagt, dass ich alles vergessen soll, was ich als Freizeitreiter in über zehn Jahren gelernt habe. Einfach drauf fläzen und alles locker lassen. Statt Steigbügel und Sattel gibt es Decke und die Handgriffe vom Voltigiergurt. Katrin Hüller-Löffler geht hinter Max und dirigiert ihn mit den langen Führzügeln. Mich bittet sie, die Augen zu schließen. Das habe ich bislang noch nie gemacht beim Reiten, warum auch, ich muss ja sehen, wohin mein Pferd läuft. Augen zu. Bei jedem Schritt des Pferdes spüre ich deutlich die Muskelbewegungen in seinem Rücken. Stopp. Augen bleiben zu. Das Pferd setzt sich wieder in Bewegung. Meine Erfahrung: Ich kann vertrauen, dass Max mich sicher trägt und so geht, dass ich nicht runterfalle.

Vertrauen - das ist etwas, das viele Patienten, die zu Katrin Hüller-Löffler in die Hippotherapie kommen, nie gelernt oder verlernt haben. Wichtig ist laut der Therapeutin aber auch, dass ein Pferd mit seinen Reaktionen unmittelbar deutlich macht, was das Verhalten des Menschen auf seinem Rücken nach sich ziehen kann. Es sind besonders geeignete Tiere, die beim therapeutischen Reiten zum Einsatz kommen. Sie müssen viel aushalten, wenn zum Beispiel Kinder heftig mit ihnen umgehen oder laut sind. Sie müssen viele Entscheidungen selbst treffen. Sie müssen in den Übergängen und Stopps weich sein. "Es sollten die besten Pferde im Stall sein", so Katrin Hüller-Löffler. Deshalb haben die vom Fohlenhof Schöniger, der seit 20 Jahren Partner des Sächsischen Krankenhauses in Rodewisch bei der Hippotherapie ist, eine klassische Reitausbildung und sind in der Dressur teilweise bis zur Deutschen Meisterschaft gegangen.

"Ein Therapiepferd sollte mindestens sieben Jahre alt sein", so Katrin Hüller-Löffler. Die Ausbildung dauert allein drei bis vier Jahre. Rabella und Max, zwei von fünf Pferden, die auf dem Fohlenhof Schöniger für das therapeutische Reiten zum Einsatz kommen, haben bereits eine 18-jährige Erfahrung. "Max ist ein Charmeur und Schauspieler, der kriegt jeden rum. Rabella ist die Dame. Wir brauchen die Verschiedenheit der Pferde, denn unsere Patienten sind ja auch sehr verschieden", erklärt die Therapeutin. Sie sind Patienten aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie aus der Neurologie. Jeweils fünf kommen zu den Stunden Montag und Mittwoch auf den Fohlenhof nach Lengenfeld. Zum Einstieg in die Therapie sitzen die Patienten zehn Minuten auf dem Pferd. "Ich hatte Muskelkater, aber nicht so schlimm, wie ich dachte", erzählt die 53-jährige Frau, die beim ersten Mal noch richtig Angst hatte vor Pferden, beim zweiten Mal aber schon Mähne und Schweif von Max ausgiebig kämmt. "Er geht genauso wie ich es brauche, nicht so schnell", lobt sie den Wallach.

Katrin Hüller-Löffler freut sich über die Unterstützung vom Sächsischen Krankenhaus. Dort wird die Hippotherapie als wichtiger Baustein, der zur Genesung der Patienten beiträgt, gesehen, deshalb bezahlt das Klinikum auch die Therapie. Das sind 4000 bis 5000 Euro für die Monate März bis Dezember.

An die 40 Besucher wollten gestern Nachmittag wissen, was es mit der Selbsterfahrung mit der Hippotherapie auf sich hat. "Die ersten waren noch zögerlich, aber dann wollten richtig viele", erzählt Antje Schöniger. Die Tochter vom Fohlenhof-Besitzer Gunter Schöniger war eine von vielen Helfern, die gestern Rabella, Rafinesse, Ilesca, Max und Altana in der Reithalle führten. Ehemalige Patienten, Mitarbeiter des Krankenhauses und andere Besucher nutzten die Gelegenheit, sich auf ein Pferd zu setzen. "Es waren aber auch Physiotherapeuten dabei, die erwägen, diese Art Therapie anzubieten", so Antje Schöniger. Begeistert hatte die junge Frau zuvor mit ihrem 13-jährigen Quebec, der mit 1,80 Meter Widerristhöhe ein stattliches Pferd ist und mit dem sie zu Vielseitigkeitsturnieren antritt.

Heike Mann
Freie Presse am 15.9.16

15.09.2016

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